Heroins Zeugen, 2014
Letten in den neunziger Jahren, Zürichs graue Gassen, desolate Zustände, meine Brüder inmitten der Heroin konsumierenden Drogenszene. Die Schauplätze lösen in mir ohnmächtige Gefühle aus. Ich gehe als Kind an der Hand meiner Mutter diese Orte ab, um die Brüder zu suchen. Marco und Santo – fünf und zehn Jahre älter als ich. Die Geschichte erstreckt sich über Beschaffungskriminalität, Inhaftierungen, gescheiterte Entzugstherapien, Überdosen von Medikamenten, Streit und Gewalt. Machtlos in diesem Zustand, haben wir auf ein baldiges Ende gehofft.
Nüchtern gesehen war die Aussicht auf Besserung sehr gering, manchmal gar utopisch. Unablässig mussten die Brüder den zwanghaften Drang nach Erlösung stillen. Tag für Tag sind sie innerlich zerbrochen und dann wieder aufgeblüht. Marco ist mittlerweile den Folgen seiner Obsession erlegen. Santo lebt in Sizilien, hier des Landes verwiesen. Meine Mutter lässt ihm Geld zukommen für seinen Unterhalt. Das Methadon bezieht er bei einer Abgabe- stelle im Ort. Als junger Erwachsener zwischen diesen Szenarien, hat es mir an Halt gefehlt. Eine Tagesstruktur habe ich durch das Besuchen der Schule erlangt. Die Hausaufgaben habe ich selten oder gar nicht geschafft. Wegen den Umständen zuhause habe ich mich mit anderen Dingen abgelenkt. Rückblickend erinnere ich mich an die Zeit des Elends nur noch vage. Heute wiederum möchte ich mich intensiv mit dieser Vergangenheit auseinandersetzen. Mein Weg durchläuft alle Etappen, die einen besonderen Stellenwert erhalten und sich mir so eingeprägt haben. Alle Orte haben Spuren hinterlassen.
Eine Glasplatte in der Höhe und Breite eines 10 Jahre alten Menschen begleitet mich. Die Platte steht stellvertretend für mich als Kind. Analog den Eigenschaften eines Kindes widerspiegelt sich auch im Material Glas die Persönlichkeit, das Temperament, das Wesen.
Ich habe miterlebt, wie meine Brüder durch den Drogenkonsum zu Zauberlehrlingen geworden sind.
Das Heroin wird bekanntlich oft gespritzt, kann aber auch geraucht werden - statistisch gesehen von gut der Hälfte der Abhängigen. Hierfür wird eine kleine Menge des Heroins punktweise auf einem Stück handelsüblicher Alufolie platziert. Diese wird dann mit dem Feuerzeug erhitzt, bis das Heroin sich verflüssigt. Danach bewegt man den Stoff auf der Folie hin und her, bis sich eine dunkelbraune Bahn bildet. Die aufsteigenden Dämpfe werden inhaliert und möglichst lange in der Lunge behalten. Eine solche Prozedur dauert in der Regel bis zu zwanzig Minuten. Auf der Unterseite der Alufolie bildet sich durch die Erhitzung des Feuerzeugs eine schwarze Russschicht.
Ein schwarzer Schleier hat mir über die Jahre den Blick auf die Vergangenheit verwehrt.
Für mich stellt meine Arbeit etwas Alchemistisches dar, was mich dazu bewogen hat, die Glasplatte komplett mit schwarzen Pigmenten zu beschichten, anstatt sie mit Russ zu schwärzen. Hierfür verwende ich verkohlte und pulverisierte Tierknochen. So wie Phönix aus der Asche verjüngt aufersteht und eine Wandlung durchmacht, so erhoffe ich mir ebenfalls eine Wende. Die Läuterung soll dann stattfinden, wenn ich mit der beschichteten Glasplatte meinen eigenen Pilgerweg begehe. Da, wo vor zwei Dekaden ein Teil meiner Geschichte begonnen hat, wo Rauschmittel und Medikamente meine Existenz mitbestimmt haben, stelle ich mein dunkles Ebenbild hin. An all die Schauplätze.
Ich trage die Schwermut mit, die mich damals durch Gossen, Massnahmenzentren und Gefängnisse begleitet hat. Und während ich diese Orte abwandere, wird durch das Hantieren mit der Platte auch die applizierte Asche abgetragen. So begegnet mir nach und nach mein ans Licht tretende Spiegelbild im Glas. An dieser Stelle, wo unweigerlich eine Reinigung stattfindet, trifft die Selbstreflexion ihren Sinn.
Die Transformation hat begonnen. Während der Prozession werden die verschiedenen Standorte an derer die Platte senkrecht mir zugewendet steht, fotografiert. Durch die verschafften Arzt-Dokumente, die einen fundierten Einblick in den Prozess der Entzugstherapie meines Bruder gewähren, verschafft mir zusätzlich Klarheit. Die Arbeit findet an der F+F als Rauminstallation seinen Schlusspunkt und wird von den entstandenen schwarz weiss Fotografien begleitet. Der schriftliche Teil wird eine biografische, tagebuchartige Retrospektive auf die Entstehung der Arbeit selbst sein.